Lieber Franz Geigl,
mein Name ist Norbert Eckert, ich bin aktiver Seniorenbergläufer ( und das ist kein Widerspruch in sich! ) der Klasse M50 / Jahrgang 1953. Zu einigen Punkten deiner " Mitteilungen für Bergläufer u. Berglaufveranstalter, Teil 1 " möchte ich gerne ein paar ausführlichere Worte verlieren und ich hätte auch nichts dagegen, wenn Du dieses Schreiben ( dann bitte ungekürzt ) auf die gleiche Web - Site stellen würdest wie Deinen Text. Vielleicht möchte sich ja die interessierte Berglaufszene, gleichviel ob Läufer, Veranstalter oder Verbandsfunktionär, an einer öffentlichen, sachlichen Diskussion über die angesprochenen Themen beteiligen. Das Internet machts ja möglich...
Zunächst sollte schon im Interesse der Fairness festgehalten werden, daß Helmut Reitmeir, wenn ich ihn richtig verstehe, keineswegs "... Berglaufveranstalter, welche Meisterschaften ausrichten, in ein schlechtes Licht rückt." Was er meines Erachtens in Frage stellt, ist lediglich die Meisterschaftswürdigkeit der ausgeschriebenen Strecken. Diesen Begriff, samt den Auseinandersetzungen darüber, gibt es wahrscheinlich in jeder Sportart, die sich gerade auch über eine bestimmte Beschaffenheit des Wettkampfgeländes definiert ( alpiner Skilauf, Langlauf, Crosslauf, Motocross etc.). Immer geht es darum, ob die Strecke dem besonderen Charakter der Sportart und dem Stellenwert der jeweiligen Meisterschaft angemessen Rechnung trägt, sie beides der Öffentlichkeit gegenüber entsprechend attraktiv präsentiert und vor allem selektiv genug ist, um einen würdigen Meister hervorzubringen. Und würdiger Meister, denke ich, ist derjenige, der die Gesamtheit der besonderen Fähigkeiten, die zur Ausübung der Sportart nötig sind, am ausgeprägtesten demonstriert.
Wohl unbestritten werden diese Fähigkeiten den Bergläufern auf Strecken wie Osterfelder, Karwendel, Zugspitz, Nebelhorn und ähnlichen am umfassendsten abverlangt; am wenigsten - bitte verzeih mir die Spitze - auf Strecken ähnlich der in Unterharmersbach. Wo aber nur ein geringer Teil der Gesamtheit berglaufspezifischer Fähigkeiten abgefordert wird, fragt sich, ob man den Sieger eines solchen Rennens - und er sich selbst - mit Fug einen Meister der Disziplin Berglauf nennen kann? Es sei denn natürlich, man bekennt sich zu der Ansicht, daß ein Berglauf einfach das sei, was von den Verantwortlichen so genannt wird - und dann kann man Berglaufmeisterschaften auch aus Braunkohleabbaugruben starten, um schließlich auf einem Dreckhügel anzukommen. Die Besten der Sportart, und diese messen sich ja bei Meisterschaften, haben in der Regel gehöriges Eigeninteresse daran, daß die Strecke meisterschaftswürdig ist, und wenn sie das einfordern, würde ich das nicht so ohne Weiteres als pures Querulantentum abtun. Deshalb halte ich es auch für ausgesprochen notwendig, daß die Verbände, durchaus in Absprache mit den Läufern selbst, endlich verbindliche Kriterien entwickeln, die eine möglichst klare Einordnung bestehender und eventueller künftiger Strecken hinsichtlich ihrer Meisterschaftswürdigkeit ermöglichen. Und auch hier hat Helmut Reitmeir, weit davon entfernt nur zu kritikastern, ja schon eine Diskussionsgrundlage geschaffen, die man vielleicht auch konstruktiv aufgreifen könnte - jenseits aller persönlichen Streitereien!
Alles bisher Gesagte gilt natürlich gleichermaßen für Meisterschaften der " Aktiven " wie der " Senioren ", da letztere ja kaum weniger aktiv sind. Und ganz selbstverständlich ergibt sich aus dem oben angesprochenen Charakter von Meisterschaften, daß sie keineswegs zum Zweck ausgetragen werden, " sogenannte Hobbyläufer leichter an die Sportart Berglauf ( heranzuführen ) ". Deshalb kann letztere Absicht auch in keinem Fall als Kriterium für die Auswahl einer Meisterschaftsstrecke herangezogen werden. Und, lieber Franz, nimms mir nicht übel, aber wieso die...nennen wirs " Vergewaltigung "... ungeübter Läufer zwecks Teilnahme an der Mannschaftswertung eines Berglaufs Konsequenzen für die Streckenführung haben sollte, ist schlichtweg unerfindlich. Wäre solch ein Verhalten die Regel, dann spräche dies, wenn schon gegen etwas im Verantwortungsbereich des Veranstalters, nur gegen die Mannschaftswertung selbst.
Und wo bitte kann man näheres über den von dir in diesem Zusammenhang angeführten DLV - Ärztebefund erfahren? Darüber hinaus, wenn wir schon beim Thema sind: welche DLV - Ärzte haben aufgrund welcher Untersuchungen wann festgestellt, daß sich 55- bis 70-jährige ( welchen Gesundheits- und Trainingszustands? ) auf Strecken der " Aktiven" " (generell?) erheblichen gesundheitlichen Risiken aussetzen"? ( welchen? ) Am Rande bemerkt, erstaunt schon die enorme Altersspreizung, über die hinweg hier angeblich allgemeine Aussagen zur körperlichen Belastbarkeit getroffen werden. Zur Methodologie einer Studie, die solches möglich macht, stellen sich doch einige Fragen. Angesichts der Tatsache, daß sich besagte Altersgruppe seit vielen Jahren schon recht problemlos ( nicht nur ) bei offenen Bergläufen auf denselben schweren Strecken wie " Aktive " tummelt, dürfte es von einigem Interesse sein, hier mehr zu erfahren, als nur vage Andeutungen.
Des Weiteren halte ich auch das Argument, " daß bei schwierigen Strecken ein erheblicher Teil der Berglaufstrecke gehend absolviert werden muß, und dies von einem Großteil der Seniorenteilnehmer ", nicht für stichhaltig genug, um daraus den Schluß zu ziehen, Seniorenberglaufstrecken müßten prinzipiell hinsichtlich der Anforderungen entschärft werden. Es gehen ja keineswegs nur die Senioren " einen erheblichen Teil", wieviel immer das sein mag. Die Schlangen gehender Läufer, die wir auf bestimmten Streckenabschnitten vieler alpiner Bergläufe immer wieder sehen, sortieren sich doch nicht nach Altersklassen! Und wenn die Strecke für den gehenden 60-jährigen unzumutbar schwer sein soll, - und wer entscheidet das letztlich? - wie verhält es sich dann mit den jüngeren Männern und Frauen um ihn herum oder gar hinter ihm? Wäre es besser, auch sie wären nicht dabei? Sollen wir sie alle per Dekret nach Unterharmersbach verweisen? Und was ist mit jenen auch nicht seltenen Berglauffreunden, die im Gehen noch schneller sind, als manche im Laufen? Und die mit den kleinen Tippelschritten - gehen die bei Dir noch als Läufer durch?
Nein, ich glaube nicht, daß der Anteil Gehender, in welcher ausgesuchten Gruppe auch immer, über welchen Streckenanteil auch immer, ein Kriterium sein kann, ob man dieser Gruppe die Strecke zumuten kann oder nicht. Jeder der Teilnehmer beteiligt sich an einem Wettlauf auf einen Berg, Frauen wie Männer, Jüngere wie Ältere, Meisterschaft oder nicht. Jeder versucht mit seinen körperlichen Voraussetzungen das Ziel so schnell als möglich zu erreichen. Es liegt in der Natur der Sache, jenseits aller ästhetischer Empfindlichkeiten, daß man niemandem vorschreiben kann, wie dies zu geschehen hat, im Gehen oder im Laufen. Im Zweifelsfall muß jeder mit sich selbst ausmachen, ob ihn die Art und Weise, wie er das Ziel erreicht, zufriedenstellt. Und also muß auch jeder selbst entscheiden, wann ihm die körperlichen Voraussetzungen nicht ( mehr ) gegeben scheinen, um Berglauf als Wettkampfsport zu betreiben.
Der Ausruf " Wir wollen Berglauf, kein Berggehen!!!" klingt arrogant. Wer ist dieses " Wir ", das sich hier zu drei Ausrufezeichen genötigt sieht? Du, Franz, und der Münzel Wolfgang? Oder der DLV? Der BLV? Eine anonyme Initiative älterer Bergläufer, die sich, wenn denn Seniorenmeisterschaften mal wieder an einem Berg stattfänden, überfordert sähen? Nichts für ungut: ich glaube nicht, daß Du für die Gesamtheit der Bergläufer und insbesondere der Seniorenbergläufer sprechen kannst. Aber Du könntest uns mal fragen, was wir selbst uns zumuten wollen, anstatt, mit irgendwelchen " DLV - Ärzten" im Hintergrund, mehr oder weniger einsame Entscheidungen darüber zu fällen, was Du uns zuzumuten gerade noch bereit bist.
Man kann übrigens im Seniorenbereich sehr wohl Berglaufstrecken anbieten, " welche für den 40- sowie 70-jährigen Teilnehmer angepaßt sind". Genauso nämlich, wie man Marathonstrecken für 40- wie 70-jährige anbieten kann! Und genauso könnte man ein Zeitlimit für den Zieleinlauf festlegen, wie es an der Schlickeralm ja inzwischen üblich ist. Das würde ausreichend garantieren, daß der Zeitrahmen nicht gesprengt wird und ein gewisses sportliches Niveau ( Meisterschaft! ) gewahrt bleibt.
Weiter schreibst Du, daß Deine eigenen Erfahrungen ergeben hätten: " je steiler die Strecke, desto weniger Teilnehmer". Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, das anhand zurückliegender DLV - Meisterschaften nachzuvollziehen. Um hier aussagefähig zu sein, müßten jedenfalls deutlich mehr als die von Dir angeführten zwei Läufe herangezogen werden und es müßte zuförderst auch untersucht werden, welche anderen Einflußgrößen auf die Teilnehmerzahl existieren. Was dem von Dir behaupteten Zusammenhang jedenfalls widerspricht, ist die allbekannte Tatsache, daß gerade die schwersten Läufe wie etwa Karwendel oder Zugspitzlauf sich zunehmender Beliebtheit erfreuen. Und wenn bei der "Hügel"-DM wirklich lediglich 48 Läufer klassiert waren, spricht das auch nicht unbedingt für deine These. Vielleicht hat der Rückgang bei DLV - Meisterschaften ( wenn`s ihn denn so gegeben hat ) ja eher etwas damit zu tun, daß eine Meisterschaft bei vielen Läufern nicht mehr den Stellenwert hat wie früher? Vielleicht suchen gerade immer mehr "klassische" Bergläufer einfach nur das grandiose Erlebnis eines alpinen Berglaufs und auch mehr die persönliche Herausforderung durch die Strecke als den Wettkampf untereinander? Wenn tatsächlich ausgesprochen schwierige Strecken die Läufer heute zunehmend anziehen, gleichzeitig Meisterschaften auch auf solchen Strecken aber an Teilnehmerschwund leiden sollten, läge jedenfalls der Schluß nahe, daß das Problem eher eines der Attraktivität von Meisterschaften ist, als von Meisterschaftsstrecken. Und, wie gesagt, vielleicht spielen noch ganz andere Ursachen eine Rolle. Hier wäre noch einiges an ernsthafterer Ursachenforschung zu leisten, wenn man gezielt Abhilfe schaffen will. Gibt es entsprechende Initiativen innerhalb der Verbände oder seitens der Berglaufverantwortlichen?
Wirklich schade ist, wie Du schreibst, daß kaum noch Vereine bereit sind, Meisterschaften auszurichten.
Allerdings hätte man gern mehr darüber erfahren, warum dies so ist. Fehlen Helfer? Mangelt es an finanziellen Mitteln? An technischer Ausstattung? Gibt es Unzufriedenheit wegen zu geringer Unterstützung durch den jeweiligen Verband oder liegen andere triftige Gründe vor? Nur der Hinweis auf "Ausrichtungsstress" ist vielleicht doch etwas zu wenig im Rahmen einer Stellungnahme, die Informationsdefizite beseitigen will.
Eines ist doch klar: Berglauf als stark geländeabhängige Sportart wird naturgemäß immer nur eine begrenzte Anzahl meisterschaftswürdiger Wettkampfstrecken zur Auswahl haben. Und erst wenn allgemeine Kriterien der Meisterschaftswürdigkeit bestehen – hier schließt sich der Kreis - können Aussagen darüber gemacht werden, wie viele Möglichkeiten und wo im Bundesgebiet zur Austragung welcher Meisterschaften prinzipiell zur Verfügung stehen. Es geht eben, so wie ich die Sache sehe, nicht primär und unbedingt darum, alle Meisterschaften in den Alpenraum zu verlegen. Die Strecke muß meisterschaftswürdig sein - nur das ist das Kriterium! Es mag ja vieleicht sein, daß im Schwarzwald, im Voralpenland oder wo auch immer sich Strecken finden ließen, die zwar in dem einen oder anderen Aspekt den Anforderungen nicht genügen, in anderen dagegen deutlich höhere Schwierigkeiten aufweisen. Das eine könnte bis zu einem gewissen Grad durch das andere ausgeglichen werden.
Welche Merkmale und Kombinationen derselben das sein könnten – das herauszufinden wäre, denke ich, eine Anstrengung wert. Und gute, vielleicht sogar schon ausreichende Anfänge sind ja gemacht!
Vielleicht wäre es angesichts des immer begrenzten Ausrichterkreises auch sinnvoll, an ein fixes Rotationsprinzip zu denken, das die Lasten gleichmäßig und vorhersehbar verteilt, etwa auch verbunden mit einem System, durch das der Ausrichter, abhängig vom Stellenwert der Meisterschaft, vom Verband unterstützte Hilfe von anderen Veranstaltern der Region erhält. Wird eine Meisterschaft, besonders eine hochkarätige, zum Anliegen einer ganzen Region, steigt auch ihr Stellenwert in der öffentlichen Wahrnehmung.
Die Veranstalter müssen selbstverständlich immer in die Lage versetzt werden, zumindest ihre Kosten zu decken. Defizite motivieren nicht! Eventuell wäre an einen ( vom DLV bezuschussten? ) Fonds zu denken, in dem jeder potentielle Meisterschaftsveranstalter einen kleinen Teil des Startgeldes seines jährlichen offenen Laufes abführt, wenn er nicht mit der Ausrichtung der Meisterschaft an der Reihe ist. Die geringfügige Erhöhung des Startgelds zu akzeptieren, könnte der konkrete Beitrag der Läufer sein.
Versteh mich richtig: das sind nur Anregungen und Ideen. Ich behaupte nicht, den Königsweg aus den angeführten Problemen der Verbandsmeisterschaften im deutschen Berglauf zu kennen." Aber ich bin überzeugt, es müssen dringend deutlich kooperativere, hoch kommunikative Strukturen geschaffen werden, die eine echte Interessengemeinschaft zwischen den Veranstaltern untereinander und den Verbänden einerseits und den Läufern andererseits zustande bringen und auf Dauer tragen können. Damit dann wirklich von einem "Wir" gesprochen werden kann.
Lieber Franz Geigl, vielen Dank für Deine Aufmerksamkeit. Solltest Du Zeit für eine kurze ( oder auch längere ) Antwort finden, wäre ich Dir sehr dankbar.
Viele Grüße aus dem Allgäu
Norbert Eckert |